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Gemaelde Kreisarchiv PeipersIn nahezu jedem Dorf gab es früher eine Dorflinde. Diese galt als zentraler Treffpunkt zum Austausch von Nachrichten. Oft war sie auch Gerichtsstätte der jeweiligen Herrschaft, was sich aus der germanischen Tradition der Gerichts­versammlung, des "Thing" oder "Ding", entwickelt hatte. Der Thingplatz hingegen wurde später auch als "Malstatt" bezeichnet. Diese Begriffe sind auch noch von den Treffen der Märker der Hohen Mark bekannt.

Diese Linden nannte man daher meist Gerichtslinden.

Hinrichtungen und Gerichtsverhandlungen fanden jedoch häufig an unter­schiedlichen Orten statt. Der Richtplatz lag oftmals außerhalb des Ortes, wie beispielsweise auch der Arnoldshainer Galgen, mit dem heutigen Flurnamen "Galgenfeld", der mitten zwischen Arnoldshain und Oberreifenberg liegt.

Der Standort der früheren, herrschaftlichen Hinrichtungsstätte Reifenbergs lag südwestlich des Salz­grundes und trägt dort heute noch den offiziellen Flur­namen "Am Galgen". Wo aber tagte in den früheren Jahrhunderten das Gericht?

Einen ersten Hinweis dazu lieferte ein weiterer Flurname. Im Volksmund be­zeich­nete man den Bereich, der vor der Schildmauer zwischen dem Keller der früheren Schlosskirche und der Kreuzung Unter­gasse / Schlossstraße / Graben lag, noch heute "Lenn", der für "Linde" steht und dem Reifen­berger Dialekt ent­stammt.

Darüber hinaus hieß dieser Bereich auch "Lindenbaumplatz". Schriftlich fest­gehalten wurde dies bei­spielsweise im Jahr 1870 anlässlich des Verkaufs des alten Feuerleiterhauses an Johann Un­ge­heuer V. Dort wurde folgendes do­ku­men­tiert:

"... der Hof­raum: belegen am Linden­baumplatz".

Auch die alte Schule befand sich, wie aus der Schulchronik ersichtlich, damals direkt am Lindenbaumplatz. Im Jahr 1830 beschrieb der damals in Oberreifenberg ansässige Lehrer, Jo­hannes Monno, Schule und Umfeld in seiner Einleitung:

"Vor der Schule steht eine treffliche Linde".

Durch den Kauf eines Gemäldes von Eugen Peipers seitens des Kreisarchives des Hoch­tau­nus­kreises war es erstmals für die Öffentlichkeit möglich, den Lindenbaumplatz in Augenschein zu nehmen.

Uebersicht Linde 17 JahrhundertOb es sich bei dieser Linde auch um die Gerichtslinde handelte, kann man nicht sicher sagen. Zwar ist nachgewiesen, dass man sich um 1580 zu Ver­hand­lungen der Herrschaft mit der gesamten Gemeinde auf der Zugbrücke traf (also zwischen der Linde und der erwähnten Kreuzung), es ist jedoch eher zweifelhaft, ob dort auch Gericht abgehalten wurde.

Bestätigt wird dies offensichtlich durch alle alten Gemälde des 17. Jahrhunderts von Burg und Flecken Reifenberg. Alle zeigen auf diesen Bildern eine besonders große Linde außerhalb der Burg vor dem Burgtor. Dies ist sowohl auf einem alten Vogelschauplan von etwa 1605-1610, als auch bei Meisner (um 1630) sowie Matthäus Merian (1646) der Fall. Auf zwei der Zeichnungen wird diese Linde von der Dorf­straße bogenförmig um­schmeichelt.

Aber damit kamen nun zahlreiche Standorte in Frage, denn die Straßen­füh­rungen des 17. Jahrhunderts können natürlich auch andere als heute gewesen sein. Somit blieb der genaue Standort weiterhin Spekulation.

Als der "Geschichtsverein Reifenberg" 2023 eine Gebäudedokumentation der Geschichte aller alten Häuser des historischen Ortskerns erstellte, stieß man bei der Untersuchung des "Frankfurter Hofs", den Paul Sauer erbaut hatte, auf eine Auffällig­keit.

Paul Sauer Gebaeude 1Sauer hatte mehrere Hofreiten gekauft, abgerissen und dort 1879 ein neues, größeres Gebäude errichtet. Im Laufe der Untersuchung der Besitzverhältnisse stellte sich heraus, dass die Gemeinde 1870 sowohl das vorher erwähnte Feuer­leiterhaus an der Burg, als auch das alte Backhaus am "Schießrain", die heutige Siegfriedstraße, versteigerte. Das Backhaus-Grundstück, dass Wilhelm Beuth seinerzeit ersteigerte und auf der er später seine Perlenfabrik aufbaute, grenzte an diverse Grundstücke, die Paul Sauer später erwarb.

Allerdings wurde bei einer Untersuchung offensichtlich, dass ein Teil der um­lie­gen­den Grundstücke im Besitz der Gemeinde waren. Schaut man sich diese Aufteilung der Grundstücke inmitten der vorigen Besitzer an, sticht die Form eines unbebauten Grundstückes besonders ins Auge. Mitten im Besitz, zwischen den Grundstücken der Familie Eigner und Ochs gelegen, zeigt sich eine halbkreisförmige Lücke, bestehend aus zwei Grundstücken, die der Gemeinde gehörten.

Wenn man nun bedenkt, dass diese Ebene, zur Schlossstraße hin, früher wie heute, ein Plateau war und dort auch noch ein Backhaus stand, kann man diesen Ort mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur als einen weiteren Treffpunkt der Gemeinde ansehen, sondern hat vermutlich auch damit den Standort der im 17. Jahrhundert zu sehenden Dorf- bzw. Gerichtslinde gefunden, denn die Form des Grundstücks, das ist dort zu sehen, war sicher kein Zufall.

Dafür spricht noch ein weiterer Punkt: Wenn man sich den Verlauf der Schloss- und Siegfriedstraße ansieht, entspricht diese genau dem bogenförmigen Verlauf um die Dorflinde herum, wie sie auch auf den zwei alten Gemälden zu sehen ist.

Der Geschichtsverein ist daher sicher, damit den Standort der früheren Gerichts­stätte gefunden zu haben.